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Yoga und Selbstfürsorge

Vivian Pudelko ist Yogalehrerin BYO, Musiktherapeutin, Singer-Songwriterin und Mutter dreier Kinder. Auf ihrer Website www.selbstfuersorge.at bloggt sie überdies über das Thema „Selbstfürsorge“. Alexandra Eichenauer-Knoll hat die Blogbeiträge gelesen und wurde neugierig.

Liebe Vivian, auf deiner Website schreibst du zum Thema Selbstfürsorge: „Im Alltag steht vor allem die Sensibilität gegenüber diversen Überforderungen im Vordergrund – das ist nicht einfach, bei all den Anforderungen und Erwartungen, die an uns gestellt werden.“ Du selbst bist vielseitig aktiv und hast auf deiner Website sogar einen eigenen Blog über Selbstfürsorge eingerichtet. Warum? 
Vivian: Pudelko: Der Blog entstand ursprünglich aus meiner Motivation, meine Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema der Selbstfürsorge für eine größere Menschenmenge aufzuarbeiten. Ich habe mich zwei Jahre an der Zürcher Hochschule der Künste im Rahmen eines Masterstudiengangs praktisch und theoretisch mit dem Thema der Selbstfürsorge beschäftigt. Ausgangspunkt war für mich die spannende Frage: was tun Menschen, die unter erhöhtem Stress stehen im Sinne der Selbstfürsorge, wenn sie eben NICHT Yoga praktizieren. Was tut ihnen gut? Was gibt ihnen Kraft und Energie für den Alltag? Und in weiterer Folge, dann eben die Frage, kann Yoga Menschen in ihrer Selbstfürsorge unterstützen?

In einem Beitrag beschreibst du, wie gut es dir tut, an einem Lavendelsäckchen zu riechen. Wie sehr haben die Sinne mit Selbstfürsorge zu tun?
Eine schöne Frage. Die Antwort sieht vermutlich für jeden Menschen anders aus. Je nachdem wie wichtig die Sinne für einen Menschen im Alltag sind bzw. welcher Sinn im Vordergrund steht. Unsere Sinne sind eng mit unserer Aufmerksamkeit und in diesem Zusammenhang eben mit einer achtsamen Haltung verbunden. Unsere Aufmerksamkeit mehr auf das Tasten, Hören, Sehen, Riechen, Schmecken zu richten, wo wir doch oft mehr in Gedanken versunken sind oder bestimmte Pläne oder innere Dialoge im Geist ausführen, hilft hier zu sein. Das Jetzt zu spüren – und nicht zu denken. Zudem kommt natürlich der beruhigende und entspannende Duft des Lavendels und die Erinnerung, mit diesem selbstgemachten Säckchen von meinem Sohn beschenkt worden zu sein. Für mich also eine dreifache Wirkung. 🙂

In einem anderem Beitrag schreibst du über ein Achtsamkeitsapp. Hilft es wirklich gegen Burnout mit einem App zwischendurch mal das Hier und Jetzt aufzurufen?
Deine Fragestellung signalisiert ja schon in welche Richtung es heutzutage oft geht. Der Wunsch nach schnellen Rezepten, besserem Funktionieren, Perfektionismus auf allen Ebenen mit gleichzeitig großer Entspanntheit. Ich denke, dass Apps, die uns in unserer Aufmerksamkeit unterstützen oder auch das Interesse für Meditation wecken oder aufrecht erhalten können, ein wunderbares Mittel in unserer digitalen Gesellschaft darstellen können. Dabei geht es um Unterstützung, um ein zusätzliches Tool für den Alltag.
Die Yoga-, Achtsamkeits- oder Meditationspraxis und der direkte Kontakt mit einem Lehrer oder einer Lehrerin können niemals ersetzt werden. Auch die Praxis zuhause, in der Natur oder Zeiten der Ruhe/Stille/Absichtslosigkeit – egal wie diese aussehen mögen – , jenseits von Handy und Laptop, sind wichtig, um immer wieder zu sich zu kommen, sich zu spüren. Um nachzulassen.
Ich denke der Anspruch, diese App bei erhöhtem Stress oder längerfristiger physischer und psychischer Belastung als Allheilmittel anzuwenden, wird bei eigener Anwendung sofort zeigen, dass dieser Wunsch an ein Stück Software, auch wenn ein Mensch diese kreiert hat, vollkommen überhöht ist. Oftmals braucht es eben große Veränderungen, die im eigenen Leben geschehen müssen, um diesem Leistungsdruck, Eigenanspruch und Perfektionismus entgegenzutreten, der im eigenen Inneren so selbstverständlich geworden ist. Und es braucht den Kontakt zu Menschen, ein Gegenüber, das zuhört und anwesend ist.

Wesentlich einleuchtender als die Benützung eines Apps finde ich deine persönliche Übung “Fingernägel lackieren“, eine einfache Tätigkeit, für die du dir Zeit nimmst. Du empfiehlst, immer wieder Tätigkeiten auszuüben, die zur Verlangsamung zwingen. Ich selbst koche sehr gerne, für mich ich das Kochen meine tägliche Selbstfürsorgestunde.
Schön, dass dir das Fingernägel Lackieren gefällt. Es geht mir vor allen Dingen auch um diese vermeintliche Banalität des Nägel Lackierens im Alltag. Es sind eben oft die kleinen Dinge, die uns wichtig sind und dann ein Gefühl von Selbstzufriedenheit und Fürsorge wecken, wenn wir diesen Bedürfnissen im Alltag folgen. Für manche bedeutet das eben auch die Küche oder die Wohnung am Abend aufzuräumen, um eine innere Ordnung herzustellen. Oder den Morgenespresso eine Zeitlang immer an einer vertrauten Stelle zu kaufen und einzunehmen. Manchmal ist es auch einfach nur beglückend in diesem ganzen Trubel stillzustehen, innezuhalten. In einer vollen Einkaufsstraße, in der U-Bahn. Und die Badewanne ist für viele Menschen ein guter Ort, um zur Ruhe zu kommen, langsamer zu werden. Praktisch ist natürlich auch, wenn eine so wichtige Tätigkeit wie das Kochen als Selbstfürsorge erlebt wird und gleichzeitig auf allen Ebenen nährt.

Du schreibst, Selbstmitgefühl sei die Basis der Selbstfürsorge. Im Moment erleben wir extreme Veränderungen in unserer Gesellschaft. Das Bild eines neugeborenen Babys mit einer Kopftuch tragenden Mutter hat zu Neujahr Hasspostings ausgelöst. Mitgefühl scheint bei immer mehr Menschen keine erstrebenswerte Kategorie mehr zu sein. Im Gegenteil, es wird verhöhnt. Gefragt ist vielmehr Abhärtung. Kann man aber Selbstmitgefühl üben, wenn das Mitgefühl abstumpft?
Ja, ich glaube gerade dann. Wenn das Mitgefühl abstumpft, geht es genau darum, sich dem Selbstmitgefühl zu widmen, sich den eigenen Fehlern, Bedürfnissen und Schwächen liebevoll zuzuwenden. Natürlich wird diese Idee von Selbstmitgefühl und Mitgefühl bei einem Menschen, der sich von diesem Foto, das Du beschreibst, provoziert fühlt auf wenig Resonanz stoßen. Vermutlich sind diese Ansätze absolut abwegig und lächerlich. Mag sein. Ich glaube, es geht vielmehr darum, sich von diesen Ereignissen, die erschreckend und gleichzeitig abstrus erscheinen, nicht verschrecken und verhärten zu lassen. Wir wissen doch, die Veränderung findet in uns statt. Es geht also weniger darum, zu überlegen, wer sich alles mit Selbstmitgefühl beschäftigen sollte, sondern sich, wenn man mag, selbst diesem schönen, niemals endenden Prozess zu widmen. Und von hier aus, von einer gewissen inneren Milde auf unsere Mitmenschen zuzugehen. Nicht einfach, aber vielleicht ein beruhigender Gedanke in unserer extrem komplexen Welt.

Selbstfürsorge hilft Überforderung rechtzeitig zu erkennen. Es gibt kritische Stimmen, die meinen das Selbstfürsorgekonzept erzeuge auch einen subtilen Leistungs- und auch Konsumdruck. Was entgegnest du dem?
Da muss ich direkt gegenfragen. Inwiefern Konsumdruck? Das interessiert mich, da möchte ich mehr drüber wissen. Die Selbstfürsorge impliziert sensibler für Überforderungen zu werden bzw. in Folge dann zu sein. Überforderungen gänzlich vermeiden? Überforderungen sind meiner Meinung nach ein wichtiger Teil unseres Lebens – allerdings unbedingt gepaart mit ausgewogenen Zeiten und Zeiten der Unterforderung, der Langeweile, des Nicht-Wissens.

Ich versuche es mit zwei Beispielen: z. B. Ich sorge gut für mich, also brauche ich vermeintlich: eine Yogastunde, neue Yogaklamotten, ein Wochenende in der Therme und einen Therapeuten, der mir gut zuhört, aber leider habe ich nicht das Geld dafür…. und das stresst mich erst recht. Ich gebe ein zweites Beispiel: Würde ich gut für mich sorgen, könnte ich alles schaffen, aber es geht mir nicht gut, was mache ich also falsch? Und wieso funktioniert es bei meiner erfolgreichen Freundin so gut?
Stichwort Konsumdruck: Das ist für mich das Verständnis einer vermeintlichen Selbstfürsorge, der Wellness-Trend, das Rezept. In Wahrheit geht es um eine Beziehung zu mir selbst, ein In-Mich-Reinhören und da sind die Antworten vermutlich sehr, sehr selten „Ich brauche schöne Yogakleidung.“
Diesen Druck, der entstehen könnte in Deinem zweiten Beispiel, ist sehr realistisch, das stimmt. So denke ich manchmal: ich bin doch Selbstfürsorge-Expertin, warum ist dann nicht einfach alles wunderbar und rund und ich tue nur noch das, was gut für mich ist. Ich weiß doch wie und worum es geht. Wir sind Menschen, wir lernen, wir probieren aus und wir sind in unserem Sein so einzigartig – wie soll ein Vergleich mit der immer gut gelaunten Nachbarin, ja selbst mit dem ständig so gelassenen Bekannten hinhauen. Wir können uns nicht vergleichen. Selbstfürsorge ist an unsere eigene Biografie gebunden, wie sind wir in die Welt gekommen, was hat uns an selbstfürsorglichen Konzepten die erste Zeit hindurch begleitet und was eben auch nicht. Das Schöne: wir können Selbstfürsorge lernen. Es ist ein lebenslanger Prozess. Und wir dürfen geduldig mit uns sein.

Du bietest Selbstfürsorgekurse für TherapeutInnen und ÄrztInnen an. Du bist selbst Therapeutin. In welchen Berufen ist es deiner Meinung nach besonders schwierig Selbstfürsorge zu praktizieren.
In eben genau diesen, und zwar im gesamten Gesundheitsbereich: ÄrztInnen, TherapeutInnen und Pflege – denke ich! Mich interessiert eben dieses Setting: für andere Menschen da zu sein, oftmals eben in Krisensituationen, wenn es um psychiatrische Einrichtungen geht zum Beispiel, also sehr stark in dieser Rolle zu leben, da zu sein, zuzuhören und egal wie abstinent die therapeutische/ärztliche Rolle ausgeübt wird, eben doch auch etwas wie ein Wegweiser, Fels in der Brandung, ein Wissender zu sein. Keine Frage, ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit. Sich allerdings mit diesen positiven Zuschreibungen längerfristig zu identifizieren, kann das eigene Leben immens erschweren. Nämlich genau dann, wenn im Privatleben Krisen auftreten, unvorhergesehene Ereignisse oder eben auch einfach das Leben geschieht, wie es geschieht. Dann geht es darum all die Konzepte, das Wissen um Krisenbewältigung fallen zu lassen und Mensch zu sein. Sich einem anderen Menschen anzuvertrauen, noch mehr Raum für sich zu schaffen im Alltag.
Die Bedürfnisse unserer KlientInnen sind oftmals unaufschiebbar und drängend, umso wichtiger die Selbstfürsorge in der Freizeit. Dann endlich Raum und Zeit für die eigenen Bedürfnisse zu haben und den eigenen Körper zu spüren bei all der emotionalen und kognitiven Arbeit. Und wie ich denke und was auch mein Schwerpunkt ist: im Berufsalltag, beim Arbeiten, während einer Therapiesitzung. Also schon direkt vor Ort anzusetzen immer wieder zu sich selbst zurück zu kommen. Das ist ein langer Prozess – ein sehr wertvoller.
Weitere Berufsgruppen sind natürlich auch die LehrerInnen. Berufe, in denen intensiv mit Menschen zusammengearbeitet wird. Je größer die Belastungen der Klientel, um so drängender das Thema der Selbstfürsorge für die MitarbeiterInnen. Es gibt sicherlich noch viele weitere Bereiche, die liegen aber derzeit nicht in meinem Fokus 🙂

Gibt es einen Unterschied zwischen einer normalen Yogastunde und einer Stunde Yoga und Selbstfürsorge. Wo ist der wesentlichste Unterschied?
Was ist denn eine normale Yogastunde? Yoga, wie ich es erlebe und unterrichte, hat immer etwas Selbstfürsorgliches. Das macht für mich Yoga aus.

Du bietest aber „Yoga und Selbstfürsorge“ an, also schließe ich daraus, dass es doch einen Unterschied gibt.
Das Format „Yoga und Selbstfürsorge“ unterscheidet sich von einer regulären Yogastunde, ja das stimmt. Wir beschäftigten uns konkret mit dem Thema der Selbstfürsorge. Verschiedenen Elementen der Selbstfürsorge ist jeweils ein Abend gewidmet: Einführung in die Selbstfürsorge, Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und die innere Entschlusskraft.
Es werden individuelle Prozesse zur Selbstfürsorge durch Impulsvorträge, Yogahaltungen und Meditationen angeregt und unterstützt. Die KursteilnehmerInnen lernen zwei Yogaprogramme kennen, die leicht in den Alltag zu integrieren sind.

Du selbst bist Musiktherapeutin, ich kann mir vorstellen, dass Musik eine große Bandbreite an Selbstfürsorgemöglichkeiten bietet. Wem empfiehlst du Yoga, wem Musik, oder am besten beides?
Ha. Empfehlen? Ich? Schwierig. Selbstfürsorge bedeutet eben auch diesen Prozess des Herauszufindens, was mir gut tut. Das ist ein lebenslanger Prozess, der sich wandelt. Innerhalb von Jahrzehnten, Jahren, Monaten, manchmal auch Tagen. Und er hängt auch davon ab, in welchen Beziehungen wir uns derzeit befinden und wo wir herkommen. Die Welt ist so bunt, es gibt soviele wohltuende, wunderbare Dinge zu tun, zu fühlen, zu sehen, zu hören, zu entdecken Yoga und Musik sind nicht alles. Aber für mich fast alles.


Fotos: Marlene Karpischek fotografierte Vivian Mary Pudelko

Pudelko, Selbstfürsorge