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Emotionen zum Fließen bringen

Susanne Bohrmann-Fortuzzi studierte Gesang und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin und absolvierte bei Jutta Bachmeier-Mönnig und Bernd Bachmeier an der Yoga-Schule Braunschweig die Ausbildung zur Yogalehrerin BDY/EYU. In ihrem Berliner Studio Yoga & Voice unterrichtet sie Stimmbildung, Sprachcoaching und Yoga im Einzel- und Gruppenunterricht. Ende September 2022 bietet sie eine Weiterbildung in Wien an.

2015 führte Alexandra Eichenauer-Knoll bereits im Vorfeld eines Workshops dieses Interview mit Susanne Bohrmann-Fortuzzi. Die Inhalte sind zeitlos, wir haben den Text daher 2022 nur um eine Frage ergänzt.

Liebe Susanne, Dein großes Anliegen ist es, Stimmarbeit für die Persönlichkeitsentwicklung zu nützen. Dafür setzet du auch Methoden aus dem Yoga ein.
Bohrmann-Fortuzzi: Yoga und Gesang sind nach meinem Verständnis Übungswege, die viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Entwicklung der Stimme ist ohne die Entwicklung des Körperbewusstseins des Übenden nicht möglich. Es gilt für Musiker genauso wie für Yoga-Übende, die Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele, wobei die Stimme Ausdruck der Seele ist, ständig zu üben, zu pflegen und auszubalancieren. Diese dreidimensionale Arbeit ist meiner Meinung nach für alle Menschen in allen Berufen geeignet, da man/frau sich selbst näher kommt, seine Emotionen kennen und annehmen und verarbeiten lernt.

Was dürfen sich die Teilnehmer/innen konkret bei dem BYO-Seminar in Wien erwarten?
Asana-Praxis mit dem Ziel Atem und Bewegung zu koordinieren, Artikulationsübungen für die Stimme, Resonanzübungen für die Stimme, erforschen der eigenen Stimme mittels Tönen auf Vokalen, OM-Tönen zur Erschließung von Obertönen und als Meditationsform und Klangimprovisationen in der Gruppe, die einen intuitiven Zugang zur eigenen Stimme ermöglichen.

Ist das Seminar auch für Leute ohne Stimmmbildungserfahrung geeignet?
Ja, denn jeder Mensch hat eine Stimme, die entwickelt werden kann, und wie oben beschrieben, dient die dreidimensionale Entwicklung von Körper, Atem und Seele/Stimme indirekt in jedem Fall der persönlichen Entwicklung. Außerdem bietet das Tönen in der Gruppe einen gewissen Schutz, seine eigene Stimme erklingen zu lassen, da alle Stimmen voneinander profitieren und sich klanglich bereichern. Das macht gerade Menschen, die nicht gewöhnt sind zu tönen und zu singen, Mut, ihre eigene Stimme mutiger zu entfalten.

Sängerische Stimmarbeit verlangt erstmal Technik und Körperarbeit. Das ist im Yoga auch so. Auf dem weiteren spirituellen Weg braucht es dann aber auch Übungen für die Reinigung des Geistes und immer wieder die Auseinandersetzung mit eigenen Blockaden und Ängsten. Wie ist das in der Entwicklung eines Sänger/innenlebens?
Dies kann man 1:1 auf die Entwicklung von Sängerinnen und Sängern übertragen. Blockaden und Ängste werden sichtbar und müssen gelöst werden, damit die Stimme sich weiter entwickeln kann. Spontane Stimmverluste beruhen z.B. in den meisten Fällen auf emotionalen Blockaden, die nicht abgebaut werden konnten, entweder weil sie zu stark waren oder weil sie einfach nicht erkannt wurden.

Du bietest auch Mantra Rezitation an, wie ist da Dein persönlicher Zugang?
Ich arbeite mit wenigen einfachen Mantras oder auch Rundgesängen aus anderen Kulturkreisen. Sie erlauben eine gemeinschaftliche Klangerfahrung, die gleichzeitig eine direkte Auswirkung auf die individuelle Stimme jedes Teilnehmenden hat.

Du liebst Sprachen, vor allem die italienische. Wie sehr ist Sprache bzw. die Phonetik der Sprache geeignet, die Seele zu öffnen, zu berühren?
Je deutlicher, je genauer man ein Wort gleich welcher Sprache ausspricht, desto mehr erfährt man etwas über die emotionale Bedeutung des Wortes. Der Sinn wird durch das beim Sprechen entstehende Gefühl unmittelbar erfahren. Die indischen Weisheitslehren bemessen der korrekten Aussprache deshalb eine sehr hohe Wichtigkeit bei. Das Singen verstärkt den emotionalen Charakter eines Wortes noch einmal mehr. Auf diese Art und Weise können Emotionen zum Fließen gebracht werden. Sie werden erkennbar, benennbar und können, falls es unangenehme Gefühle sein sollten, auch besser abgebaut werden. Denn alles, was ich aus meinem Innern nach außen sichtbar werden lassen kann, verliert unmittelbar seine Bedrohung, befreit den Geist. Das Gefühl kommt durch das Tönen oder Singen in die Welt und kann von außen betrachtet werden.
Das Italienische hat den Vorteil, eine labiale Sprache zu sein, d.h. fast alle Laute werden mit den Lippen, also ganz weit vorne, artikuliert. Der klassische Gesang wird ebenfalls labial artikuliert. Insofern eignet sich die italienische Sprache besonders gut zum Erlernen des Singens.
Mich fasziniert der Klang von Sprachen, unabhängig davon, ob ich sie verstehe oder nicht, weil jede Sprache ihre eigene individuelle Botschaft sendet und etwas über die Menschen erzählt, die diese Sprache sprechen.

Helfen Yoga und Singen in Krisenzeiten?
Die meisten Menschen fühlen sich nach dem Gesangsunterricht ausgeglichener und ruhiger. Das führt mich zu der Behauptung, dass die Arbeit mit Yoga und Stimme gerade in Krisenzeiten, wie denen, mit denen wir aktuell zu tun haben, eine dauerhafte Stabilisierung herbeiführen kann. Die Yoga- und Stimmarbeit führt uns in Kontakt mit unserem Atem, Körper und Geist; also stehen wir direkter im Kontakt mit uns selbst und können dadurch auch gezielter für andere da sein. Es gibt jetzt die Initiative „Standing with the Earth“ von Sensing the Change. Die Idee, sich mit sich selbst zu verbinden und damit dem Planten etwas Gutes zu tun, funktioniert indirekt. Indem ich mich besser spüre, kann ich auch spüren, was andere brauchen oder der Planet braucht, auf dem wir das Glück haben, zu leben. Eigentlich eine sehr simple Formel. Da wir allerdings häufig den Kontakt zu uns verlieren und uns mehr auf Äußeres konzentrieren, wie Arbeit oder Geld, verlieren wir den Kontakt zu uns selbst und sind dann von Krisen verängstigt oder blenden aus, wie gefährlich ein Krieg z.B. sein kann.

Mantra Rezitation, Singen, Susanne Bohrmann-Fortuzzi, Yoga