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Focusing eröffnet neue Wahrnehmungsräume – ein Gespräch mit Dagmar Shorny

„Focusing eröffnet neue Wahrnehmungsräume“ – Nora Gresch und Dagmar Shorny im Gespräch über das Potenzial von Focusing für die Yogapraxis

 Dagmar Shorny leitete seit 2008 Aus- und Weiterbildungen für Yogalehrende und gründete die von Yoga Austria-BYO anerkannte Yogaschule Pushpa, in Wien. Sie ist auch Focusing-Coach und Philosophin und arbeitet derzeit als Psychotherapeutin in freier Praxis in Wien. Im Oktober 2025 wird sie ein Seminar zu Yoga und Focusing in Wien anbieten.

Nora Gresch (NG): Liebe Dagmar, Yoga ist mittlerweile in den Breiten der Gesellschaft angekommen und wird in einer Vielzahl von Ausprägungen geübt. Focusing ist vielen kein Begriff. Was ist Focusing eigentlich und warum fasziniert Dich diese Methode?

Dagmar Shorny (DS): Ja. Focusing ist nicht so sehr in den Breiten angekommen, aber man findet Teile davon in verschiedenen körpertherapeutischen Ansätzen, wie zum Beispiel Somatic experiencing oder in der Cranioarbeit. Hier spricht man auch von “felt sense” oder “experiencing”. Diese Begriffe kommen aus dem Focusing. Der Begründer von Focusing, Eugene Gendlin war es, der diese Begriffe und ihre Bedeutung geprägt hat.

Focusing selbst ist meiner Einschätzung nach auch immer mehr im Kommen und ist im Umkreis der personzentrierten Psychotherapie entstanden. Der Schöpfer Eugene Gendlin hat lange und intensiv mit Carl Rogers zusammengearbeitet. Ihm ist beim Auswerten der Aufnahmen von Psychotherapieprozessen aufgefallen, dass die Menschen, die während der Gespräche mit ihrem Körper in Kontakt sind, also die sich zum Beispiel auf den Bauch greifen oder zögern, nach Worten suchen, sich sozusagen an ihre Körperwahrnehmung rückkoppeln, dass diese Menschen erfolgreichere Therapieprozesse haben und andere Fortschritte machen als diejenigen, die einfach nur gut reden können.

Aus dieser Beobachtung hat Gendlin dann eine Methode entwickelt, sich auf den Körper zu beziehen, während man über Dinge nachdenkt. Er hat diese sehr genau ausgearbeitet – auch als eine Methode der Prozessbegleitung, die sich eben auf die Körperwahrnehmung bezieht. Also gar nicht so sehr auf die Inhalte, sondern auf die konkreten Körperwahrnehmungen, auf das Erspüren der Körperwahrmungen, also Enge, Weite, Hitze, Kribbeln im Bauchraum oder Herzraum. Das, was die Person dann dabei spürt, nennt Gendlin “felt sense”, gespürte Bedeutung. Er meint damit, dass wenn uns etwas besonders bedeutsam ist, dann haben wir auch ein Körpergefühl dazu.

Das fasziniert mich sehr. Für mich ist Focusing eine wunderbare Brücke, die die Gesprächstherapie und die Körperarbeit miteinander verbindet, da ich ja auch vom Yoga komme.

Interessant finde ich auch, dass Gendlin in seinem Grundberuf Philosoph war. Er war neben seiner Tätigkeit als Therapeut auch Professor für Philosophie und konnte deshalb auch für den therapeutischen und körpergeführten Prozess neue Begriffe entwickeln.

Durch das Miteinbeziehen des Körpers gibt es überraschende Einsichten, worauf man nicht gekommen wäre, wenn man nur beim Nachdenken geblieben wäre. Diese Situation hat Gendlin “felt shift” genannt. Eine gespürte Veränderung. Wir wissen vielleicht noch nicht, was sich geändert hat, aber wir fühlen, dass sich etwas geändert hat. Um bei einer Frage weiterzukommen, ist diese körperliche Resonanz von zentraler Bedeutung.

NG: Was findest Du das Interessante daran, Yoga und Focusing zu verbinden, was ja auch das Thema von unserem Seminar ist? Was ist das Spannende für Yogalehrende und Yogapraktizierende?

DS: Hierauf möchte ich auch mit einem Konzept von Gendlin antworten. Nämlich “crossing” oder “kreuzen”. Verschiedene Ansätze auf ein Thema zu beziehen kann immer wertvoll sein, weil ein Konzept kann nie die gesamte Komplexität abdecken, aber es ist wichtig, dass wir gute und genaue Konzepte haben. Das “Kreuzen” kann den Blick oder die Herangehensweise aber weiter machen und Aspekte eröffnen, die man sonst vielleicht nicht erfahren hätte und einen frischen Wind in unsere gewohnte Herangehenweise bringen. Man könnte es einfach auch als interessantes Abenteuer bezeichnen.

NG: Mit der Methode Focusing werden wir uns also in der Yogapraxis neu erleben?

Focusing kann den Blick auf das, was, wir im Yoga gut kennen, vertiefen. Im Yoga machen wir ja schon unglaublich viel, wir machen Körperarbeit, beziehen den Atem mit ein, haben einen philosophischen Hintergrund, es gibt verschiedene Techniken für die Ausführungen.

Um es sich konkreter vorzustellen: in dem Seminar werden wir uns als Thema ein oder zwei bhavanas aus dem Yoga-Sutra anschauen, und wir werden uns diese yogischen Begriffe mit der Methode des Focusing weiter erschließen. Asanas werden wir natürlich auch praktizieren.

NG: Was ermöglicht Focusing, was mit Yoga nicht in den Fokus kommt?

DS: Das Spezielle und Faszinierende an Focusing ist, dass es die Erfahrungsräume ganz offen lässt. Hier wird nichts vorgegeben, keine Richtung, keine Vorgehensweise. Dadurch macht man wirklich sehr interessante Erfahrungen. Yoga ist in dieser Hinsicht doch etwas direktiver. Oftmals gibt es beim Yoga die Haltung, wie mache ich es richtig, wie mache ich es falsch oder einen moralischen Zeigefinger, wie ich mich nach der Yoga-Ethik verhalten soll.

Das Focusing ist als Methode darauf angelegt, für sich selbst herauszubekommen, was bedeutet zum Beispiel das bhavana maitri für mich. Da kommt dann vielleicht auch die eigene Biographie mit ins Spiel, eigene Erlebnisse.

Was die Körperarbeit betrifft, hat sie Gendlin nicht weiter ausgearbeitet. Johannes Wiltschko, der lang mit Gendlin zusammengearbeitet hat, bezieht auch Körperarbeit mit ein. Was die Freiräume des inneren Erlebens anbelangt, da ist Focusing sehr interessant.

NG: Dass man Wege für das innere Leben findet oder Begriffe?

DS: Eher Wege. Die Begriffe kommen immer erst danach. Nach Gendlin, sind diese Wege innerlich schon immer in einem angelegt, man spürt sie schon, weiß aber nicht, was es ist. Focusing zeigt dir diese Wege. Diese Prozesse können dann symbolisiert oder ausgedrückt werden. Dies kann in Bewegung, in Bildern oder auch Worten sein.

NG: Yoga ist ja auch eine Methode des Erkennens. Wir bringen unser Alltagsverständnis zur Ruhe, damit wir tiefer wahrnehmen können. Das wäre ja ein weiterer Kreuzungspunkt. Wie siehst Du das in Bezug zu Focusing?

DS: Beim Focusing geht es um ein sehr konkretes Spüren und dieses Spüren ist mit bestimmten Gefühlen und Gedankenbildern verbunden. Indem man sich dann ganz auf diese Körperwahrnehmungen fokussiert, kann man sich Teile von dem großen Bild, das mit dem Spüren verbunden ist sozusagen erschließen und man bleibt mit dieser Körperwahrnehmung verbunden, die sich meistens in diesem Prozess auch verändert. Das wiederrum verändert dann auch wieder die Gefühle und Gedanken. Es ist ein Prozess zu einem bestimmten Thema und Focusing, man focussiert sich auf die Resonanz zu diesem Thema.

Es ergeben sich aus diesem Prozess Schritte und diese Schritte führen immer dazu, dass die Person spürt, was für sie jetzt stimmig ist und was diese Person jetzt weiterbringt, was der nächste Schritt sein könnte. Gendlin nennt das “carrying forward”.

Eugene Gendlin, Focusing